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Das Problem der Überqualifizierten

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Zehn bis 15 Prozent aller in Österreich unselbstständig Beschäftigten sind Schätzungen zufolge für ihre Arbeit überqualifiziert. Sie üben Tätigkeiten aus, die nicht ihrem Bildungsniveau entsprechen, etwa wenn eine Person mit Lehrabschluss als Hilfsarbeiter arbeitet. Der Preis dafür, nicht arbeitslos zu sein, ist hoch: Neben einem geringeren Einkommen wirkt sich das auch negativ auf die Arbeitszufriedenheit aus.

Hauptbetroffen von dem Phänomen sind laut Daniel Schönherr vom Meinungsforschungsinstitut SORA Frauen mit Matura und „seit ein paar Jahren“ immer mehr jüngere Akademiker. Für sie dauert es nach Studienabschluss immer länger, in ein Normalarbeitsverhältnis einzutreten. Sie, die „Generation Praktikum“, hängt immer länger in atypischen Beschäftigungsverhältnissen fest und kommt aus der Spirale immer schwerer heraus.

Bildungsabschluss sollte sich verwerten lassen

Besonders Frauen mit einem höheren Bildungsabschluss täten sich immer schwerer, diesen auch „einzulösen und zu verwerten“, schwerer als Männer. Der Arbeitsklimaindex zeige auch, dass Frauen mit den Aufstiegsmöglichkeiten unzufriedener sind. „Sie kommen nicht rauf“, obwohl sie die Qualifikationen dafür mitbringen würden. Als dritte Betroffenengruppe gelten Migranten, die sich schwertun, ihre im Ausland erworbenen Qualifikationen hierzulande im Berufsleben umzusetzen.

Insgesamt lässt sich das Phänomen, erklärt Schönherr, aber nur schwer an Zahlen festmachen. Am ehesten „noch auf unterer Ebene“, wie am Beispiel des ausgelernten Arbeiters, der als Hilfskraft arbeitet. Komplizierter werde es aber, wenn es „weiter nach oben“ geht, wenn beispielsweise jemand mit Matura in einem Bürojob arbeitet. „Wir wissen nicht weiter, was er genau macht und können deshalb nicht sagen, ob er überqualifiziert ist oder nicht.“ Generell jedoch, vermutet Schönherr, dass das Problem der sogenannten Dequalifizierung aber zugenommen hat.

Angebot passt nicht zu Nachfrage

Angesichts der schlechten Arbeitsmarktdaten und der seit Jahren steigenden Arbeitslosenquote klingt das auch wenig verwunderlich. Das alleine ist jedoch nicht die Ursache für Dequalifizierung: Während die Zahl der Hochqualifizierten wächst, steigt zwar auch der Bedarf an besser ausgebildeten Arbeitskräften, so Schönherr gegenüber ORF.at, aber nicht im selben Maß. Angebot und Nachfrage passen also nicht zusammen. „Das führt dann dazu, dass Leute Jobs annehmen oder annehmen müssen, die unter ihrem Qualifikationsniveau liegen.“

Höherqualifizierte verdrängen Niedrigqualifizierte

Eine ähnliche Erklärung hat Ernst Haider vom Arbeitsmarktservice (AMS) parat: Die Firmen suchten zwar vermehrt besser qualifizierte Arbeitnehmer, allerdings seien das nicht unbedingt immer Hochschulabsolventen, sondern oft zum Beispiel Fachkräfte. Die Diskrepanz führt, neben vielen anderen, zu einem Verdrängungsproblem, wie beide Arbeitsmarktexperten erklären. „Was wir sehen, ist, dass Höherqualifizierte die Niedrigqualifizierten zunehmend verdrängen. Und das führt dann im Endeffekt dazu, dass diese Überqualifikation mittlerweile so weit verbreitet ist“, so Schönherr.

Die großen Verlierer sind also die Geringqualifizierten. Sie sind ohnehin jene, die von der Arbeitslosigkeit am stärksten betroffen sind. Fast jeder zweite Arbeitslose hat maximal einen Pflichtschulabschluss als höchste Ausbildung. Besser Gebildete werden nicht nur weniger häufig arbeitslos, sondern mit steigendem Bildungsniveau sinkt auch der Anteil der Langzeitarbeitslosen, wie Helmut Mahringer vom Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) erklärt. Je besser ein Arbeitnehmer also ausgebildet ist, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass er arbeitslos wird – und wenn das doch geschieht, dann findet er wieder schneller auf den Arbeitsmarkt zurück.

„Sortierungseffekte“ bei steigender Arbeitslosigkeit

Wenn die Arbeitslosigkeit länger steigt, so Mahringer, treten „Sortierungseffekte“ auf – jene mit noch relativ guten Wiedereinstiegschancen gehen schneller wieder raus aus der Arbeitslosigkeit, und es verbleiben dann immer mehr mit größeren Wiedereingliederungsproblemen. Das trifft verstärkt die Schwachen – Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Ältere, denen der Zugang zur Pension erschwert wurde. Für sie sind die Wiedereingliederungschancen, wenn sie den Job einmal verlieren, besonders schlecht.

Aber, das zeigen die monatlichen Arbeitslosenzahlen des AMS: Akademiker sind immer mehr von Arbeitslosigkeit betroffen. Zuletzt ist die Zahl der arbeitslosen Akademiker dramatisch angestiegen – im März gegenüber dem Vorjahr um über 23 Prozent, in absoluten Zahlen waren in dem Monat 20.010 Akademiker arbeitslos. Spürbar zu steigen begann die Zahl von 2008 (8.649) auf 2009 (10.663). 2014 waren es dann bereits 17.877. Freilich ist in der Zwischenzeit auch die Gesamtzahl der Uni- und FH-Absolventen gestiegen. Der Druck auf dem Arbeitsmarkt steigt also auch für besser Gebildete.

Arbeitslosigkeit drückt späteres Einkommen

Besser Gebildete haben zwar größere Flexibilität und einen größeren Auswahlraum, so Mahringer, werden sie jedoch arbeitslos, ist ein Wiedereinstieg für sie trotzdem in manchen Fällen mit Abstrichen verbunden. Der Druck auf Arbeitslose sei stark, eine Tätigkeit anzunehmen, auch wenn diese unter dem Qualifikationsniveau liegt, so Mahringer. Schutz davor, abzurutschen, gibt es nur marginal, die Gefahr von Dequalifizierung droht. Ablesen lasse sich das beispielsweise am kleiner werdenden Einkommen. Die Einkommensdynamik gehe durch Arbeitslosigkeit nach unten, sprich Wiedereinsteiger verdienen in vielen Fällen weniger als davor.

Abstriche bis zu welchem Punkt?

Zwar gibt es vonseiten des AMS in der Anfangszeit einen „Berufsschutz“, der sei aber auch nur kurzfristig. Arbeitslose müssen die Bereitschaft zeigen, zumutbare Jobs anzunehmen, um aus dem Fördersystem nicht herauszufallen. Was zumutbar ist, regelt das AMS: In den ersten 100 Tagen, so Mahringer, gibt es einen Berufsschutz, der besagt, dass eine Vermittlung in eine entsprechend Tätigkeit dann nicht zumutbar ist, wenn eine künftige Beschäftigung im bisherigen Beruf dadurch erschwert wird.

Ein Beispiel: Wenn eine gut ausgebildete Fachkraft vorübergehend eine Hilfstätigkeit ausübt, dann ist es für sie danach vielleicht schwieriger, wieder in die Fachtätigkeit zurückzukehren. Mahringer findet diesen, wenn auch „kurzfristigen“ Schutz sinnvoll, weil sonst Humankapital verloren geht.

Zumutbarkeitsbestimmungen „relativ scharf“

Sehr wohl vom ersten Tag an zumutbar ist es Arbeitssuchenden aus Sicht des AMS aber, auf einen Teil des ursprünglichen Gehalts zu verzichten: Eine vorgeschlagene Stelle gilt dann als zumutbar, wenn die angebotene Entlohnung in den ersten 120 Tagen des Arbeitslosengeldbezugs mindestens 80 Prozent und danach mindestens 75 Prozent der letzten Bemessungsgrundlage beträgt. In jedem Fall gilt aber der Kollektivvertrag als Mindestmaß.

Arbeitssuchende stünden damit schon ab dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit unter Druck, einen Job anzunehmen, bei dem sie deutlich weniger verdienen, so Mahringer. Er findet die Zumutbarkeitsbestimmungen „relativ scharf formuliert“. Da sich die Situation insgesamt für Arbeitslose erschwert habe, sei es „nicht unplausibel“, dass sich auch das Problem der Dequalifizierung verschärft.

AMS-Vermittelte oft mit weniger Gehalt

Mahringer verweist in diesem Zusammenhang auch auf eine WIFO-Studie, die Hinweise darauf gibt, dass Arbeitslose, die beim AMS in Betreuung sind, eher geringer bezahlte Jobs annehmen, als solche, die über andere Wege einen Job suchen. Sie würden dort zwar gut und vergleichsweise dauerhaft vermittelt, aber im Vergleich zu anderen Vermittlungskanälen häufig in Jobs mit geringerem Einkommen.

Für AMS-Experten Haider ist es nur „realistisch“, dass Arbeitssuchende finanziell Abstriche machen müssen. Es passiere auch, dass ein Akademiker in der AMS-Beratung sage, dass er mit 200 oder 500 Euro weniger zufrieden ist. Denn vor allem bei älteren Arbeitssuchenden mit viel Erfahrung sei etwa das im ehemaligen Job erzielte Gehalt vielleicht nicht mehr erzielbar.

Betroffen vom Problem der Dequalifizierung sind jedenfalls nicht nur Akademiker – in jeder Qualifikationsstufe kann Arbeitslosigkeit der Joblaufbahn einen gehörigen Dämpfer verpassen. Und je höher die Arbeitslosenquote steigt, desto härter wird der Kampf um den passenden Job.