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Nicht Arbeit „spielen“, sondern arbeiten

Young businessman walking in street of modern city.

Das Gastgewerbe ist so eine typische Branche, die ihren Mitarbeitern einiges abverlangt. Egal ob in der Küche oder im Service – es braucht Schnelligkeit, Belastbarkeit und Flexibilität. Wer das nicht oder nicht mehr zu 100 Prozent bringt, für den steht oft der Job auf dem Spiel. Davor, dass die Arbeitslosigkeit dann zur beruflichen Endstation wird, bewahrt das Fangnetz des zweiten Arbeitsmarktes.

Für Monika Zauner war es nach 20 Jahren in der Gastronomie aus, und sie war arbeitslos. Heute hat sie wieder eine Stelle, wenn auch eine befristete. Zauner arbeitet als Servicekraft im Restaurant Michl’s, einem sozialökonomischen Betrieb in der Wiener Reichsratsstraße. Dessen Unternehmenszweck ist es, langzeitarbeitslosen Menschen beim Wiedereinstieg in die Arbeitswelt zu helfen. Das Michl’s, das seinen Namen übrigens vom prominenten Nachbarn und Schirmherrn Michael Häupl hat, erhält dafür Förderungen vom Arbeitsmarktservice (AMS).

Gehalt, kein Taschengeld

Arbeit wird in sozialen Betrieben wie dem Michl’s aber nicht „gespielt“ – die Mitarbeiter haben einen richtigen Job, mit kollektivvertraglichem Gehalt statt einem Taschengeld, wie Judith Pühringer, Geschäftsführerin von arbeit plus, im Gespräch mit ORF.at erklärt. Arbeit plus ist ein Dachverband für soziale Unternehmen in Österreich, mittels derer arbeitsmarktferne Personen auf den Arbeitsmarkt (zurück-)geholt werden sollen.

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Zauner ist froh, beim Michl’s Arbeit gefunden zu haben: „Man hat wieder einen Sinn, wenn man in der Früh aufsteht und weiß, wofür man aufsteht.“ 

Die in den unterschiedlichsten Branchen tätigen Betriebe sind ein wichtiger Bestandteil des zweiten Arbeitsmarktes. Wobei Pühringer mit diesem – gängigen – Begriff nicht ganz glücklich ist, wie sie erklärt. Sie stört das Hierarchiegefälle, das „zweiter Arbeitsmarkt“ zum Ausdruck bringt und bevorzugt deshalb den Terminus erweiterter Arbeitsmarkt.

Auch wenn er gerne als Nische gesehen wird, klein ist der zweite Arbeitsmarkt nicht. Im Dachverband arbeit plus (vormals: Bundesdachverband für Soziale Unternehmen, bdv austria) sind rund 200 soziale Unternehmen integriert. Etwa 40.000 Menschen erhalten dort über Vermittlung des AMS jedes Jahr einen befristeten Arbeitsplatz, dazu kommen noch rund 15.000 Schlüsselarbeitskräfte, das sind dauerhaft angestellte Personen.

Ein Maurer in der Küche

Martina Bernthaler ist Restaurantleiterin im Michl’s und war davor schon selbstständig in der Gastronomie tätig. Etwas anders ist ihre Tätigkeit nun natürlich schon: „Der Unterschied ist, dass wir teilweise Personen haben, die überhaupt noch nicht in der Gastronomie gearbeitet haben, also keine Erfahrung haben. Wir hatten schon Tischler, Maurer, die in der Küche angefangen haben und als Küchenhilfe da beginnen und versuchen, auf diese Weise wieder einen Job zu bekommen, weil das in ihrer eigenen Branche zu schwierig ist oder es körperlich nicht mehr geht.“

Ein Problem sei das aber meistens nicht wirklich: Man habe sehr positive Erfahrungen, auch jene, die einen Gastgewerbejob vielleicht nicht unbedingt angestrebt hatten, seien oft sehr zufrieden und „wollen eigentlich gar nicht weg“, erzählt Bernthaler. Auch die Einschulung ist „überraschend oft gar nicht so schwierig“ – auch ein Tischler bringt Know-how mit, das vielleicht in einer Küche gebraucht werden kann, etwa in der Logistik oder Lagerhaltung. Wichtig ist ihr, die Menschen dort einzusetzen, „wo sie das ganze Potenzial haben.“ Oft entwickelten sich „ganz neue Fähigkeiten.“

Wer auf dem zweiten Arbeitsmarkt arbeitet

Soziale Betriebe stellen Personen ein, die den Status langzeitbeschäftigungslos (LZBL) haben. Das sind Arbeitslose, die trotz eventueller kurzer Unterbrechungen seit mindestens einem Jahr keinen Job haben. Im Fall vom Michl’s sind das fast ausschließlich über 50-Jährige. Im Restaurant selbst können sie dann bis zu ein halbes Jahr lang in der Küche oder im Service arbeiten, in der Zeit sollen die Mitarbeiter fit für einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt gemacht werden. Denn eine Beschäftigung auf dem zweiten Arbeitsmarkt hat immer nur Transitcharakter – Ziel ist die Integration in das „normale“ Berufsleben.

Auf dem Weg dorthin werden die Menschen mit vielen Maßnahmen begleitet. Qualifikationen werden nachgeholt, Neues kann ausprobiert und Erfahrungen können gesammelt werden, Kontakte zu möglichen Arbeitgebern werden hergestellt. Die Mitarbeiter werden außerdem beim Schreiben eines Lebenslaufs unterstützt und bei Bedarf zu Bewerbungsgesprächen begleitet. Gleichzeitig werden die Betroffenen auch im persönlichen Bereich unterstützt: Sie erhalten sozialarbeiterische Betreuung, etwa Hilfe bei Wohnungssuche, Schulden, Suchterkrankung, familiären Schwierigkeiten.

Nicht jeder schafft den Sprung

Pühringer erklärt, dass im Schnitt etwa 30 bis 40 Prozent der Transitarbeitskräfte in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden können. Für das Michl’s liegt die Quote laut Bernthaler bei 20, 25 Prozent. Das liegt zum Teil wohl daran, dass dort hauptsächlich Personen über 50 Jahren angestellt werden – die „schwierigste Klientel“ bei der Vermittlung, so Bernthaler.

„Riesenthema“ Ältere

Auch Pühringer beobachtet, dass die größte Gruppe und ein „Riesenthema“ ältere Personen sind. Wobei das Alter aber immer weiter hinunterrutsche. Während früher die Älteren 50 plus waren, sind es heute 50-Jährige, oder gar 45-Jährige. Sehr häufig brächten sie ein weiteres Vermittlungshemmnis mit, oft eine gesundheitliche Einschränkung. Aber, so Pühringer, immer mehr reiche schon das Alter allein aus, um schwerer vermittelbar zu sein.

Besonders häufig auf dem zweiten Arbeitsmarkt beschäftigt sind auch Frauen, die lange vom Arbeitsmarkt weg waren und den Wiedereinstieg nicht aus eigenem Antrieb schaffen. Dazu kommt noch jene Gruppe an Jugendlichen, die weder in Ausbildung noch in Beschäftigung sind, jene „die durch alle Netze durchgefallen sind“, wie Pühringer es formuliert.

Anschlussmöglichkeiten fehlen immer öfter

Für Pühringer ist ganz klar, dass die Bedeutung des erweiterten Arbeitsmarktes angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit „enorm“ ist. Die Langzeitbeschäftigungslosigkeit werde immer mehr zu einem Massenphänomen, findet sie. 2015 hatte schon etwa jeder dritte Arbeitslose LZBL-Status. „Nicht, weil die Leute viel schlechter drauf sind, sondern weil es die Anschlussperspektive zum ersten Arbeitsmarkt nicht mehr so gibt“, so Pühringer.

In Zeiten besseren Wirtschaftswachstums habe es einen Spielraum auf dem ersten Arbeitsmarkt gegeben, Menschen zu beschäftigen, die vielleicht nicht 100 Prozent Leistung bringen. „Diesen Spielraum am ersten Arbeitsmarkt gibt’s kaum mehr. Menschen müssen entweder 100 Prozent leistungsfähig sein, oder sie finden keinen Job.“

Auch ein Sozialbetrieb muss wirtschaften

Soziale Unternehmen sind deshalb entsprechend gefragt, das Modell wurde in der Vergangenheit auch sehr stark ausgebaut. Pühringer sieht angesichts der Herausforderungen auch Verbesserungsbedarf: Wenn es die Anschlussperspektive auf den Primärmarkt nicht mehr gibt, müssen auf dem erweiterten Arbeitsmarkt mehr und vor allem dauerhafte Arbeitsplätze angeboten werden. Das ließe sich über zwei Möglichkeiten machen: Entweder mehr Förderungen ausschütten oder aber die sozialen Unternehmen wirtschaftlich so erfolgreich machen, dass sie aus eigener Kraft mehr Arbeitsplätze anbieten können.

Denn auch wenn die Firmen gefördert werden – sie müssen dennoch Gewinne erwirtschaften und haben auch entsprechende Vorgaben vom AMS. „All diese Unternehmen sind gemeinnützig. Es sind Non-Profit-Unternehmen, die Gewinne machen und sich am Markt bewegen; die Gewinne werden aber wieder in das Unternehmen reinvestiert“, erklärt Pühringer. Die Förderungen fallen sehr unterschiedlich aus, manche soziale Unternehmen erhalten sogar nur eine Eingliederungsbeihilfe, die eigentlich allen Unternehmen für das Einstellen besonders benachteiligter Arbeitskräfte offensteht. Andere werden als Ganzes gefördert, bei wieder anderen werden nur die Personalkosten (zu einem bestimmten Prozentsatz) gefördert.

„Ich kann das ja doch noch“

Pühringer wünscht sich für die Zukunft, dass soziale Unternehmen zu „Equal Playern“ auf dem Markt werden und „normale“ Unternehmen von ihrem Know-how profitieren. Etwa wenn es darum geht, wie man einen Mitarbeiter nach einem Burn-out wieder in den Arbeitsalltag integriert. Auch Michl’s-Servicemitarbeiterin Zauner hat einen großen Wunsch – nämlich einen dauerhaften Arbeitsplatz. Und auch wenn „in den Sternen“ stehe, ob sie den recht bald bekomme, ihren Optimismus und Tatendrang hat sie nicht verloren. Im Gegenteil, durch die Arbeit im Michl’s habe sie etwas Wichtiges gelernt: „Ich kann das ja doch noch.“

Quelle: http://orf.at/stories/2318222/2318221/